Pressestimmen

,Aus der Neuen Welt‘

Ralph Vaughan Williams
A Sea Symphony

Frederick Delius
Songs of Farewell

philharmonie berlin
15. Mai 2019

Leitung  Jörg-Peter Weigle

‚Aus der Neuen Welt‘

Christian Schmidt lauscht dem Rauschen des Meeres

 

Eigentlich bemĂŒhen sich ja vorzugsweise englische Dirigenten, die Musik ihrer Landsleute aufzufĂŒhren. Aber ein JubilĂ€um wie der 200. Geburtstag des amerikanischen Dichters Walt Whitman hat Jörg-Peter Weigle , Chefdirigent des Philharmonischen Chores Berlin, inspiriert, Meilensteine der insularen Musikgeschichte aufzufĂŒhren. Ausgerechnet die EnglĂ€nder Frederick Delius und Ralph Vaughan Williams, politisch nicht gerade die glĂ€nzendsten Optimisten, vertonten Teile von Whitman Hauptwerk ‚Grashalme‘, das aus dem erstarkten Selbstbewusstsein der Neuen Welt seine hymnische Kraft schöpft. Beide vertonten die Meereshuldigungen des Amerikaners in saftigen Farben und zeichneten die Unermesslichkeit der See als Metapher des Lebens nach.

Eine Entdeckung, denn Frederick Delius und Ralph Vaughan Williams stehen als Vokalkomponisten selbst in Berlin höchst selten auf dem Programmzettel. Da hilft die vom Senat unterstĂŒtzte Kooperationsbereitschaft des Konzerthausorchesters, das mehrfach im Jahr Laienchöre begleitet. Das hebt einerseits die Motivation der ambitionierten SĂ€nger, andererseits die des Publikums, in der Philharmonie auf Entdeckungsreise zu gehen.

Tagesspiegel, 11. Mai 2019

„Alle Menschen werden BrĂŒder“

Ludwig van Beethoven
9. Sinfonie mit Schlusschor „Ode an die Freude“

konzerthaus Berlin
28. Dezember 2018

Leitung  Jörg-Peter Weigle

„Alle Menschen werden BrĂŒder“: Beethovens IX. im Konzerthaus

 

Die Neunte Sinfonie von Beethoven, gespielt vom Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter Jörg-Peter Weigle, im Konzerthaus

Jeder kann die Ode an die Freude mitsingen, Beethovens weltberĂŒhmte Schillervertonung im Schlusssatz seiner Neunten Sinfonie. Bei deren erstem Satz ist das schon viel schwieriger, denn die Neunte beginnt chaotisch. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter der Leitung von Jörg-Peter Weigle spielte sie am Freitagabend im restlos ausverkauften Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Zupackend direkt, ohne Partitur vor der Nase, schlug Weigle den Takt fĂŒr den an Paukenwirbeldramatik nicht gerade armen Beginn eines Musik gewordenen Kampfes.

Es ist ein Kampf fĂŒr hehre Ideale, fĂŒr BrĂŒderlichkeit und Frieden. Doch dort sind wir noch lange nicht. Weigle muss sein Orchester erst durch den rastlosen zweiten Satz in die TrĂ€umerei des Adagios treiben, das so erhaben klingt, wie die Vision von MenschenglĂŒck und Frieden auf Erden nun einmal ist. Nichtsdestotrotz wird selbst der ĂŒbers Sinfonische hinauswachsende vierte Satz noch gestört durch dramatisch hereinbrechende Presto-Phrasen, bevor Andreas Bauer Kanabas mit seinem Parade-Bass endlich eingreifen darf und mit dem Freudenthema das Chorfinale eröffnet.

Mit Bauer Kanabas stehen die hervorragende Sopranistin Robin Johannsen, Altistin Britta Schwarz und der Tenor Tomasz Zagorski auf der BĂŒhne. Sie dĂŒrfen sich auf ein hochklassiges Orchester verlassen, dessen stark geforderte BlĂ€sersektion sich gestochen scharf und triumphant durch dieses Mammutwerk arbeitet. Der Rang hinter der BĂŒhne wird vollstĂ€ndig vom Philharmonischen Chor Berlin ausgefĂŒllt, der angetreten zu sein scheint, das Orchester noch in den Schatten zu stellen. Mit Bravour verleihen die SĂ€ngerinnen und SĂ€nger dem ohnehin schon gewaltigen Finale grĂ¶ĂŸtmögliche MajestĂ€t.

Nun ist die Programmplanung bei Jahresabschlusskonzerten wie diesem selten besonders originell. Es tut trotzdem gut, dieses hĂ€ufig aufgefĂŒhrte Werk wieder einmal in voller LĂ€nge zu genießen. Fast zweihundert Jahre ist es alt. Elf lange, sinfonielose Jahre waren seit der Achten vergangen, als Beethovens Neunte 1824 in Wien uraufgefĂŒhrt wurde. Ihr Schöpfer war da bereits völlig ertaubt. Nicht nur Jahre persönlichen Leids jedoch fanden in dem spĂ€ten opus magnum Beethovens ihren Niederschlag.

Noch mehr waren es die bedrĂŒckenden politischen Entwicklungen der Ära nach dem Wiener Kongress. Der Humanist Beethoven stemmte sich mit der wahrhaft revolutionĂ€ren Programmatik seiner Neunten gegen die Reaktion und den schleichenden Verfall bĂŒrgerlicher Ideale. Muss die Parallele zu heute erwĂ€hnt werden? „Alle Menschen werden BrĂŒder“, das ist eine Botschaft, die es außerhalb von KonzertsĂ€len schon wieder sehr schwer hat. In ihr liegt die ungebrochene AktualitĂ€t dieser gewaltigen Sinfonie begrĂŒndet.

Berliner Morgenpost vom 28. Dezember 2018

Naturgewalt

ZoltĂĄn KodĂĄly
BudavĂĄri Te Deum

Leoơ Janáček
MĆĄa glagolskaja (Glagolitische Messe)

philharmonie berlin
17. oktober 2018

Leitung  Jörg-Peter Weigle

Der Philharmonische Chor und die Staatskapelle Halle mit Janáceks ,Glagolitischer Messe‘ und Kodálys ,Te Deum‘.

Frömmigkeit kann auch ganz anders klingen als im Lande von HĂ€ndel und Bach. Nach Naturlaut und Minimal Music, Geschrei und GeflĂŒster, verzĂŒckt und archaisch, gregorianisch und volksnah zugleich, chromatisch und synkopisch vertrackt.

Schrille Geigen, funkelnde Trompeten, insistierende Tonrepetitionen, eine munter aufbrausende Orgel: In LeoĆĄ JanĂĄceks ,Glagolitischer Messe‘ (1926 – 1928) ist Gott eher in den WĂ€ldern zuhause und den Niederungen der menschlichen Tragödie als in himmlischen SphĂ€ren. Der Glaube siedelt zwischen tobenden Winden und murmelnden BĂ€chen, wĂ€hrend Chor und Orchester in Siebenmeilenstiefeln das Erdenrund durchschreiten. Auf bange Evokationen folgt aggressiver Jubel, bis das Bekenntnis „Veruju – ich glaube“ im altslawischen Idiom mit seinen weichen Konsonanten wie eine Geisterbeschwörung anmutet. Ein Akt der BesĂ€nftigung.

Der Philharmonische Chor Berlin und die Staatskapelle Halle haben sich das eigentĂŒmliche, technisch höchst anspruchsvolle pantheistische Sakralwerk mit Orchester-Intrada, Orgelsolo und Schlussfanfaren vorgenommen; in der Philharmonie erklang es zuletzt 2013 (und demnĂ€chst, im November, erneut unter Leitung von Simon Rattle). Ein ehrgeiziges, lohnenswertes Unterfangen. Auch wenn die Anstrengung mitunter zwischen den Noten hervorblitzt, das Blech bei den Fanfaren schwĂ€chelt und die Solisten (Camilla Nylund, Karina Repova, Tomasz Zagorski, Jozef Benci) JanĂĄceks durchaus theatralischen Duktus allzu opernhaft intonieren.

Der Chor unter Jörg-Peter Weigle legt wie schon bei ZoltĂĄn KodĂĄlys ,Te Deum‘ (1936) große HomogenitĂ€t an den Tag, besticht mit warmem, volltönendem, nie auftrumpfendem Klang. Auch die metallische SchĂ€rfe, die KodĂĄly den Sopranen abverlangt, macht den SĂ€ngerinnen keine MĂŒhe – nur wĂŒnschte man sich bessere TextverstĂ€ndlichkeit.

Das erste und (beinahe) letzte Wort hat der Merseburger Domorganist

Michael Schönheit bestreitet nicht nur die vorletzten Takte bei JanĂĄcek, der Merseburger Domorganist hat auch das erste Wort an diesem Abend, mit Liszts ,PrĂ€ludium und Fuge ĂŒber B-A-C-H‘. Die Komposition wurde ebendort uraufgefĂŒhrt, in Merseburg im Jahr 1956: noch so ein dramatisch ausholendes, mit abrupten Registerwechseln und raumgreifenden Crescendi die Kirchenmauern sprengendes Werk. Schade ĂŒbrigens, dass der Saal nicht voll ist – was wohl damit zu tun hat, dass der Rias-Kammerchor gleich nebenan im Kammermusiksaal seinen 70. Geburtstag feiert. Berliner Chorgesang-Fans mussten sich entscheiden.

Tagesspiegel

Lust am Untergang

Hector Berlioz
Grande Messe des Morts (Requiem)

konzerthaus berlin
karfreitag 14. april 2017

Leitung  Paul McCreesh

Strafgericht und Klanggewalt: Das Berliner Konzerthausorchester, der Philharmonische Chor und die Berliner Singakademie fĂŒhren Berlioz’ Totenmesse auf.

Lebt der Mensch verantwortungslos? Und werden wir unseren gemeinsamen Untergang im von uns eingeleiteten AnthropozĂ€n selbst verschulden? Gelassen und eigentlich erschreckend ergebnisoffen diskutiert eine Runde aus Wissenschaftlern und Philosophen diese Frage im Radio, doch wir können die Sendung nicht zu Ende hören: Wir sind im Konzerthaus verabredet, wo wir uns live und in dĂŒsteren Klangfarben der Vision eines apokalyptischen Strafgerichts hingeben können. Auf dem Programm steht Hector Berlioz’ ,Grande Messe des Morts‘ mit ihrem monumental ausgemalten ,Dies Irae‘.

Die Lust, dies vom bequemen Sitz aus mitzuerleben, ist groß. Das Publikum im ausverkauften Saal applaudiert, bis nicht nur der Philharmonische Chor Berlin und die SĂ€ngerinnen und SĂ€nger der Berliner Singakademie, sondern auch der letzte Musiker des in maximaler StĂ€rke aufspielenden und in mehrere Fernorchester aufgespaltenen Konzerthausorchesters seinen Platz eingenommen hat. Unter Kontrolle bringt die Klanggewalten Paul McCreesh, der mit hochrotem Kopf Momente physischer ErschĂŒtterung und von dröhnendem „gothic horror“ beschwört.

Berlioz’ Totenmesse ist die denkbar lauteste Bitte um Ruhe

Und doch fehlt der Totenmesse des keinesfalls glĂ€ubigen Berlioz, die der Untermalung unterschiedlichster und geradezu kontrĂ€rer politischer AnlĂ€sse diente und nebenbei auch die denkbar lauteste Bitte um Ruhe darstellt, jener tiefere Wahnwitz, welcher der „Symphonie fantastique“ innenwohnt, dem bekanntesten Werk dieses bis zur Ekstase hochsensiblen und doch hoch reflektierenden KĂŒnstlers. Bisweilen liegt dies einfach nur an fehlenden Nuancen. McCreesh verfehlt den sprachverliebten französischen Deklamationsstil, der zwischen deutschem Vortrag und italienischer KantabilitĂ€t liegt. Und er legt zu viel Wert auf Linie und logische Steigerung, statt auf Wortaffekt und Klangfarbe zu setzen.

Bisweilen werden die Chormassen auch zu sehr vom Orchester ĂŒberdeckt, was insbesondere im Offertorium schade ist, in dem der farbige Orchestersatz eigentlich aus der vokalen Beschwörung hervorgehen sollte. Gelungen hingegen das Wechselspiel zwischen exakt fugierendem Chor und Solist im Sanctus, bei dem Robert Murray mit muskulösem Tenor aus der Ferne den von positiver Energie erfĂŒllten Seraphen gibt.

_ www.tagesspiegel.de

Konzert zu Karfreitag

Hector Berlioz
Grande Messe des Morts (Requiem)

konzerthaus berlin
karfreitag 14. april 2017

Leitung  Paul McCreesh

Am 14. April spielte das Konzerthausorchester Berlin unter der Leitung von Dirigent Paul McCreesh das „Konzert zu Karfreitag“. Zu hören war die ,Grande Messe des Morts‘ von Hector Berlioz, die als beeindruckend gewaltiges Werk bekannt ist. Clemens Goldberg hat sich das „Konzert zu Karfreitag“ im Konzerthaus Berlin angehört.

„ 
 sehr beachtlich diese beiden Chöre zusammen, ganz erstaunlich homogen, sogar mit französicher Aussprache 
“

„ 
 wirklich Chapeau fĂŒr diese Leistung, dass es alles sauber war…die hohen Tenorstimmen 
“

„ 
 es ist wirklich toll, wie diese Chöre das schaffen 
“

_ www.kulturradio.de

Entwaffnend

Ralph Vaughan Williams
Dona Nobis Pacem

Gabriel Fauré
Requiem

philharmonie berlin
02. november 2016

Leitung  Jörg-Peter-Weigle

UnermĂŒdliche Entdeckungsfreude. Der Philharmonische Chor singt Gabriel FaurĂ© und Ralph Vaughan Williams unter der Leitung von Jörg-Peter Weigle.

Trotz Brittens ,War Requiem‘ und dem ,Dream of Gerontius‘ von Edward Elgar, der inzwischen auch hierzulande regelmĂ€ĂŸig aufgefĂŒhrt wird, bleiben weite Teile des reichen englischen Chorrepertoires aus dem 20. Jahrhundert dem deutschen Publikum unbekannt. Da kann man sich freuen, dass der unermĂŒdlich entdeckungsfreudige Philharmonische Chor mit Ralph Vaughan Williams’ ,Dona nobis pacem‘ eine RaritĂ€t vorstellt, die sich freilich im Heimatland des Komponisten großer Beliebtheit erfreut.

Vielleicht liegt es an mangelnder Vertrautheit mit dieser Klangsprache, wenn man an diesem Abend in der Philharmonie weniger einen Individualstil als AnklĂ€nge an Bekannteres hört: Zitate aus Verdis Requiem, Parsifaleskes und, in den marschartigen Passagen, viel Gustav Mahler. Mit dem Kontrast zwischen apokalyptischen und zarten Momenten sowie der Verbindung aus liturgischem Text und Antikriegslyrik weist das 1936 uraufgefĂŒhrte Werk zudem deutlich auf das ,War Requiem‘ voraus.

Unaufdringliche Friedensbotschaft

Die vorhandene Kitschgefahr bannt der Philharmonische Chor unter der souverĂ€nen Leitung seines Chefdirigenten Jörg-Peter Weigle mit einer außerordentlich kultivierten Interpretation. Angesichts perfekter Intonation und vorbildlicher Piano-Kultur glaubt man kaum, dass die Mitglieder des Ensembles Laien sind. Nur gelegentlich wĂŒnscht man sich eine schĂ€rfere Attacke, zumal das engagiert und tonschön agierende Konzerthausorchester im ersten Teil des Abends zuweilen sehr robust auftritt.

Die Koppelung mit Gabriel FaurĂ©s ,Requiem‘ ist auch deshalb sinnfĂ€llig, weil Vaughan Williams bei FaurĂ©s SchĂŒler Ravel studiert hat und beide Werke eine Ă€hnliche Besetzung mit Soloparts fĂŒr Sopran und Bariton aufweisen (bewegend: Marietta ZumbĂŒlt und KreĆĄimir StraĆŸanac). Die Konfrontation mit einem in der Vorahnung des Zweiten Weltkriegs geschriebenen StĂŒck verstĂ€rkt noch die Wirkung der entwaffnend stillen und liebenswĂŒrdigen Totenmesse des Franzosen. Das Publikum bedankt sich mit großem Applaus fĂŒr die eindrĂŒckliche und unaufdringliche Friedensbotschaft.

_ www.tagesspiegel.de

Ein Abend von großer AktualitĂ€t

Ralph Vaughan Williams
Dona Nobis Pacem

Gabriel Fauré
Requiem

philharmonie berlin
02. november 2016

Leitung  Jörg-Peter-Weigle

Zum Auftakt seiner Abonnementskonzerte prĂ€sentierte der Philharmonische Chor Berlin gestern eine französisch-englischen Liaison von Gabriel FaurĂ©s Requiem und dem bei uns selten aufgefĂŒhrten ,Dona Nobis Pacem‘ von Ralph Vaughan Williams. Clemens Goldberg berichtet vom Abend in der Philharmonie:

„ 
 Williams spĂŒrte, dass der Frieden in Gefahr war 
 darin liegt die AktualitĂ€t des StĂŒckes – eine sehr sehr gute Wahl!“

„FaurĂ© will nicht an die Hölle rĂŒhren 
 er will Ruhe und Frieden beschwören und da war der Chor ganz in seinem Element“

Was von Herzen kommt

Johann Sebastian Bach
MatthÀus-Passion

philharmonie berlin
08. mÀrz 2016

Leitung  Jörg-Peter Weigle

Der Philharmonische Chor gibt einen Bach-Abend in der Berliner Philharmonie

Traditionen mischen sich, wenn „Preußens Hofmusik“ auf den Philharmonischen Chor Berlin trifft, um die MatthĂ€us-Passion von Bach zu interpretieren. Preußens Hofmusik, ein Orchester zusammengesetzt aus Mitgliedern der Staatskapelle und GĂ€sten, spielt zwar auf modernen Instrumenten, öffnet sich aber historischer AuffĂŒhrungspraxis. Denn am ersten Pult der Violinen sitzt Stephan Mai, einer der Konzertmeister der renommierten Akademie fĂŒr Alte Musik, und seine animierende Körpersprache bildet Konkurrenz und Hilfe fĂŒr den Maestro am Dirigentenpult.

Seit 2003 leitet Jörg-Peter Weigle den vor 130 Jahren gegrĂŒndeten Chor. Das heißt fĂŒr ihn, klassische Oratorientradition mit aktueller Spielweise zu verbinden. Gern experimentiert er auch auf Seitenpfaden der Musikgeschichte.

So sind zehn Jahre vergangen seit der letzten AuffĂŒhrung der MatthĂ€us-Passion durch den Chor. Neu ist die Zusammenarbeit mit Preußens Hofmusik, die fĂŒr lineare Transparenz und BlĂ€serglanz einsteht. Wo ließen sich die „Tropfen meiner ZĂ€hren“ lieblicher vernehmen als hier in der Philharmonie?

Die Konzentration ĂŒbertrĂ€gt sich auf das Publikum

Ein Andachtsbild, sehr zart und getragen, bleibt „Wenn ich einmal soll scheiden“, wĂ€hrend die ChorĂ€le im ĂŒbrigen in natĂŒrlichem Fluss mit deutlichen Dissonanzen musiziert werden. Auch das Crescendo „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen“ folgt im Ausdruck als Seelenmusik. An der Spitze blendender ChorvirtuositĂ€t steht der Vivace-Satz „Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden“, der auf die Gefangennahme Jesu reagiert. Bei stilistischer GroßzĂŒgigkeit herrscht eine Konzentration, die sich spĂŒrbar auf das Publikum ĂŒbertrĂ€gt. Zahlreich sind die Knaben des Staats- und Domchors um die Orgelempore postiert, um den Cantus firmus von oben strahlend in den Saal zu schicken.

Gesegnetes Sachsen – als Land der Musik: Konzertmeister Mai kommt aus Leipzig, Jörg-Peter Weigle war Thomaner, Andreas Scheibner Kruzianer, bevor er an der Semperoper Karriere machte. Die Christus-Partie gibt er unsentimental, mit herber, eindrucksvoller Diktion: „Ich werde den Hirten schlagen.“ Hervorragend in Leuchtkraft und Affekt klingt „Ich will dir mein Herze schenken“ von der Sopranistin Letizia Scherrer, die weiteren Arien singen Ivonne Fuchs und Tobias Berndt auf fesselndem Niveau.

Und noch ein Leipziger: Als Evangelist ist André Khamasmie zu entdecken. Berichterstatter in schöner Rede, höhensicher, scheinbar beilÀufig und dabei voller Hingabe.

Blick in die Sterne

Josef Rheinberger
Der Stern von Bethlehem

Johann Sebastian Bach
Magnificat

philharmonie berlin
22. dezember 2015

Leitung  Jörg-Peter-Weigle

Rheinbergs Weihnachtskantate ,Der Stern von Bethlehem‘ und Bachs ,Magnificat‘:
Das Weihnachtskonzert des Philharmonischen Chors in der Philharmonie

Von unten ĂŒber die große Sekunde hoch in die Oktav: Das Sternenmotiv in Josef Rheinbergers Weihnachtskantate von 1890 schwingt sich wundersam himmelwĂ€rts, ausgerechnet dann, als im Text der „himmlische Segen“ auf die Erde herabsinkt. Helle Soprane, mĂŒhelose Spitzentöne, lichte Harmonien, sanfte Disharmonien – warum nicht mal auf spĂ€tromantische Manier die Geburt Christi besingen? Im „Stern von Bethlehem“ reimt sich „Krippe“ auf „Lippe“ und „Erlöser der Welt“ auf „HĂ€ndchen hĂ€lt“.

Eine Kantate ĂŒber das Ende der Dunkelheit, mit hellen Sopranen und lichten Harmonien

Das Werk des lange fast vergessenen Komponisten Rheinberger erinnert mal an die „Ernsten GesĂ€nge“ von dessen Freund Brahms, mal an die verklĂ€rend-klassizistische Ästhetik der Nazarener. Wobei der Philharmonische Chor unter Leitung seines Chefs Jörg-Peter Weigle den fĂŒr heutige Begriffe leicht kitschigen Text (von Rheinbergers Ehefrau Fanny von Hoffnaaß) mit grĂ¶ĂŸtmöglicher NatĂŒrlichkeit versieht. Die nie forcierende, gut durchhörbare, edle Klangkultur des Ensembles steht der Kantate ĂŒber das Ende der Dunkelheit gut zu Gesicht – auch wenn man sich die MĂ€nnerstimmen etwas krĂ€ftiger wĂŒnschte.

Das Konzerthausorchester durchsetzt die somnambulen Chorszenen und Arien mit organischem Pulsschlag, mal im weich abgefederten Pastoralton, mal von kurzen Blitzen durchzuckt, wenn die Weisen aus dem Morgenland vom Gewittersturm heimgesucht werden.

Friede auf Erden, Jörg-Peter Weigle macht daraus eine Frage des Takts und des Timbres: In Bachs „Magnificat“ sorgt Karin Dahlberg mit ihrem vollfarbenen, anmutigen Sopran erneut fĂŒr bewegende Momente; die sich aneinander schmiegenden Stimmen der Altistin Karin Repova (anstelle der erkrankten Britta Schwarz) und des Tenors beim „Et misericordia eius“ tun es ihr gleich. Roman Trekels Opern-Vibrato passt zwar nicht ganz ins Bild, aber der Chor lĂ€sst sich von so viel engelsgleichem Gesang doch dazu inspirieren, weiter Ballast abzuwerfen. Grazil, glĂ€sern die Tutti: Schon in Rheinbergers Schlusschor hatten die SĂ€nger die Stille beschworen. Friede auf Erden? Manchmal hilft es schon, einen freundlichen, behutsamen Ton anzuschlagen.

_ www.tagesspiegel.de

Die Demut einer Quadrupelfuge

Franz Schmidt
Das Buch mit sieben Siegeln

philharmonie berlin
08. november 2015

Leitung  Jörg-Peter-Weigle

In der Philharmonie: ,Das Buch mit sieben Siegeln‘

Was ließe sich aus diesem Bibel-Text nicht alles machen! Nichts weniger als Weltuntergang wird in der Offenbarung des Johannes ja unter anderem beschrieben, der „jĂŒngste Tag“, an dem sich die GrĂ€ber auftun und finales Gericht gehalten wird. Da hört man beim Lesen die Pauken prasseln und die Posaunen dröhnen. Jedoch kaum etwas davon bei Franz Schmidts Oratorium ,Das Buch mit sieben Siegeln‘, vollendet 1937. Ein bisschen Kontrabassgrummeln, um die Erde erbeben zu lassen, ein wenig Flötenschimmer, wenn es blitzt. Das erstaunt um so mehr, als der Wiener Schmidt in einem Umfeld lebte und wirkte, zu dem etwa auch Gustav Mahler und Richard Strauss gehörten; jahrelang diente er als Solocellist in der Wiener Hofoper dem Hofoperndirektor Mahler.

Und wie wĂ€re der bei einem Ă€hnlichen Thema klangmalerisch in die Vollen gegangen! Im letzten Satz der 2. Sinfonie hat Mahler es angedeutet, einer Vision vom jĂŒngsten Gericht. Dass allerdings auch Schmidt den zuckersĂŒĂŸen Ton beherrscht, war kĂŒrzlich bei den Philharmonikern zu hören, als Zubin Mehta die zigeunerisch-sattklingende Zwischenmusik aus der Oper ,Notre dame‘ zur AuffĂŒhrung brachte. Wiederum nichts als solcher SĂŒĂŸlichkeit in seinem ,Buch mit sieben Siegeln‘.

Am Sonntagabend war das StĂŒck in der Philharmonie wieder einmal zu hören, nachdem es zuletzt vor bald 20 Jahren vom Deutschen Symphonie-Orchester aufgefĂŒhrt worden war. Der Philharmonische Chor sang, die opernerprobte, fein zirpende Staatskapelle Halle spielte, Jörg-Peter Weigle dirigierte. Es wurde eine sehr feingliedrige, in den schönsten Momenten elegant schwebende, in schwĂ€cheren Momenten etwas zaghafte AuffĂŒhrung. Besser so als zu viel, denkt man sich jedoch, wo Schmidt dann doch mal den kompletten Klangapparat von der Leine lĂ€sst. Etwa in jener abenteuerlich komplexen Quadrupelfuge, mit der die Öffnung des siebten und letzten Siegels besungen wird. Jedoch droht auch hier keine Entgleisung wie etwa bei Max Reger in seinem schwer sich wĂ€lzenden 100. Psalm. Fest ist der katholische Boden, auf dem sich Franz Schmidt bewegt – und das schließt klangliche Demut mit ein. Keine geringere Leistung angesichts des rĂ€tselhaften Bilderreichtums dieses Bibeltextes, der seit jeher die Fantasie des Lesers anregt.

Entscheidend sind bei Schmidt die zahlreichen Ruhepunkte, wĂ€hrend derer der Hörer Möglichkeit hat, die Bilderflut sacken zu lassen. Beispielhaft dafĂŒr stehen die zwei Orgelzwischenspiele, die Distanz zum Geschehen schaffen und im typischen Kirchen-Sound klar machen, dass das alles auch nicht das Mindeste mit Oper zu tun haben will. Organist Michael Schönheit gibt dem sehr selbstbewusst Ausdruck. Stark ist auch Tenor Dominik Wortig, bei dessen Johannes die musikalische Tradition spĂŒrbar bleibt: in der Nachfolge des Evangelisten in den Bach’schen Passionen. Hanno MĂŒller-Brachmann singt einen kraftvollen Gottvater. Hoffentlich mĂŒssen wir auf die nĂ€chste AuffĂŒhrung diese großartigen StĂŒcks nicht wieder 20 Jahre warten.

Das Weltende in einem großen Oratorium

Franz Schmidt
Das Buch mit sieben Siegeln

dom zu merseburg
20. september 2015

Leitung  Jörg-Peter-Weigle

Ein wĂŒrdiger Abschluss der Merseburger Orgeltag: Minutenlangen, stehenden Applaus gab es am Sonntagabend nach der AuffĂŒhrung von Franz Schmidts Oratorium ,Das Buch mit sieben Siegeln‘ im Dom der Stadt. Das anspruchsvolle Werk fĂŒr Soli, Chor, Orgel und Orchester gehört wie sein Komponist zu jenen, die dem breiten Publikum eher weniger bekannt sind. Umso gewaltiger entfaltet sich dann die Wirkung des glanzvoll aufgefĂŒhrten Oratoriums. Schmidt, geboren 1874 in Pressburg, dem heutigen Bratislava, lebte in Wien, wo er 1939 hochgeehrt gestorben ist. Im ,Buch mit sieben Siegeln‘ (
) hat er den gewaltigen Versuch unternommen, die Apokalypse zu vertonen – auf der Grundlage der Offenbarung des Johannes, des letzten Buches des Neuen Testaments. Wer Text und Musik hört, wird angesichts der Weissagung furchtbaren Schreckens, der vor der Erlösung stehen soll, emotional tief aufgewĂŒhlt sein. Bedenkt man, dass die Komposition von 1935 bis 1937 entstanden ist, wird man sie auch als ein Zeichen ahnungsvollen Schreckens deuten wollen, ausgelöst von der heraufziehenden Nazi-Gefahr. Man kann ĂŒber Schmidt aber auch lesen, er habe zu den BefĂŒrwortern des sogenannten Anschlusses Österreichs an Deutschland gehört und sei von den NS-Politikern geschĂ€tzt worden. Ein Widerspruch, der am ehesten mit der These auszulösen ist, dass Schmidt als Komponist wohl klĂŒger war und feiner fĂŒhlte – wider den Zeitgeist. Sein Oratorium jedenfalls spricht dafĂŒr. Un die von Jörg-Peter Weigle souverĂ€n geleitete AuffĂŒhrung hat es ebenso gezeigt. UneingeschrĂ€nktes Lob geht dafĂŒr an die AuffĂŒhrenden – die Staatskapelle Halle, den Philharmonischen Chor Berlin, den Tenor Christian Elster (herausragend als Johannes), an Marietta ZumbĂŒlt (Sopran), Ingeborg Ranz (Alt), Marcus Ullmann (Tenor), Kresimir Strazanac (Bass) sowie an Michael Schönheit an der Orgel.