„Alle Menschen werden Brüder“

Sebastian Blottner, Berliner Morgenpost

Ludwig van Beethoven
9. Sinfonie mit Schlusschor „Ode an die Freude“

konzerthaus Berlin
28. Dezember 2018

Leitung  Jörg-Peter Weigle

„Alle Menschen werden Brüder“: Beethovens IX. im Konzerthaus

 

Die Neunte Sinfonie von Beethoven, gespielt vom Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter Jörg-Peter Weigle, im Konzerthaus

Jeder kann die Ode an die Freude mitsingen, Beethovens weltberühmte Schillervertonung im Schlusssatz seiner Neunten Sinfonie. Bei deren erstem Satz ist das schon viel schwieriger, denn die Neunte beginnt chaotisch. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt unter der Leitung von Jörg-Peter Weigle spielte sie am Freitagabend im restlos ausverkauften Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Zupackend direkt, ohne Partitur vor der Nase, schlug Weigle den Takt für den an Paukenwirbeldramatik nicht gerade armen Beginn eines Musik gewordenen Kampfes.

Es ist ein Kampf für hehre Ideale, für Brüderlichkeit und Frieden. Doch dort sind wir noch lange nicht. Weigle muss sein Orchester erst durch den rastlosen zweiten Satz in die Träumerei des Adagios treiben, das so erhaben klingt, wie die Vision von Menschenglück und Frieden auf Erden nun einmal ist. Nichtsdestotrotz wird selbst der übers Sinfonische hinauswachsende vierte Satz noch gestört durch dramatisch hereinbrechende Presto-Phrasen, bevor Andreas Bauer Kanabas mit seinem Parade-Bass endlich eingreifen darf und mit dem Freudenthema das Chorfinale eröffnet.

Mit Bauer Kanabas stehen die hervorragende Sopranistin Robin Johannsen, Altistin Britta Schwarz und der Tenor Tomasz Zagorski auf der Bühne. Sie dürfen sich auf ein hochklassiges Orchester verlassen, dessen stark geforderte Bläsersektion sich gestochen scharf und triumphant durch dieses Mammutwerk arbeitet. Der Rang hinter der Bühne wird vollständig vom Philharmonischen Chor Berlin ausgefüllt, der angetreten zu sein scheint, das Orchester noch in den Schatten zu stellen. Mit Bravour verleihen die Sängerinnen und Sänger dem ohnehin schon gewaltigen Finale größtmögliche Majestät.

Nun ist die Programmplanung bei Jahresabschlusskonzerten wie diesem selten besonders originell. Es tut trotzdem gut, dieses häufig aufgeführte Werk wieder einmal in voller Länge zu genießen. Fast zweihundert Jahre ist es alt. Elf lange, sinfonielose Jahre waren seit der Achten vergangen, als Beethovens Neunte 1824 in Wien uraufgeführt wurde. Ihr Schöpfer war da bereits völlig ertaubt. Nicht nur Jahre persönlichen Leids jedoch fanden in dem späten opus magnum Beethovens ihren Niederschlag.

Noch mehr waren es die bedrückenden politischen Entwicklungen der Ära nach dem Wiener Kongress. Der Humanist Beethoven stemmte sich mit der wahrhaft revolutionären Programmatik seiner Neunten gegen die Reaktion und den schleichenden Verfall bürgerlicher Ideale. Muss die Parallele zu heute erwähnt werden? „Alle Menschen werden Brüder“, das ist eine Botschaft, die es außerhalb von Konzertsälen schon wieder sehr schwer hat. In ihr liegt die ungebrochene Aktualität dieser gewaltigen Sinfonie begründet.

Berliner Morgenpost vom 28. Dezember 2018