Opulentes Oratorium
Dr. Jürgen Schaarwächter, klassik.com cpo
Georg Schumann
Ruth
CD-Kritik
Philharmonie Berlin
So, 05. März 2023
Leitung Jörg-Peter Weigle
Jörg-Peter Weigle hebt einen symbolistischen Schatz, Chor- und Orchesterleistungen sind exzeptionell.
Einiges von Georg Schumann haben wir nicht zuletzt dank der Bemühungen von cpo schon kennenlernen können – nun wurde (aufgenommen 2023 in der Berliner Philharmonie) das rund 100 Minuten lange Oratorium ‚Ruth‘ op. 50 vorgelegt, das nach seiner Uraufführung 1908 auch beachtliche internationale Erfolge feiern konnte. Schumann war seit 1900 Leiter der traditionsreichen Berliner Sing-Akademie, wusste also fraglos sehr erfolgreich mit chorsymphonischen Werken umzugehen. Die Uraufführung seiner ‚Ruth‘ legte er aber, da er mit der Berliner Presse keine guten Erfahrungen gemacht hatte, in die Hände Richard Barths und der Philharmonischen Gesellschaft Hamburg.
Das Werk besteht aus zwei ungleich langen Teilen von je drei Szenen. Musikalisch bewegen wir uns in nach-Wagner’schen Welten, in Welten voller Symbolkraft und Rätselhaftigkeit, ganz typisch für seine Zeit – und eine solche Partitur erfordert größtmögliche Klarheit sowohl bei den Chortexturen als auch im Orchester – vor allem aber größtmögliche Textverständlichkeit.
Schumann hat für Ruth und ihre Schwiegermutter Naomi die bei weitem umfänglichsten Soli geschrieben, Boas und ein Priester sind daneben fast Staffage. Hanno Müller-Brachmann verleiht Ruths Zukünftigem Boas Autorität und Charakter, neben ihm wirkt Jonas Böhm als Priester weit weniger stark charakterisiert. Vor allem aber brauchen wir eine höchstkarätige Sopranistin für die Titelrolle und eine nicht minder begabte Mezzosopranistin für die Naomi – und da geht es nicht nur um klangliche Durchschlagskraft, Expressivität und Klangschönheit. Über beides können Marcelina Román (Ruth) und Julie-Marie Sundal (Naomi) hinreichend verfügen – mühelos können sie die orchestralen Klangmassen überstrahlen und verlieren auch neben den Chören nie an Präsenz. Textverständlichkeit? Na, da beginnt es zu hapern. Das Libretto (veröffentlicht auf der jpc-Website, um das Doppelalbum in eine schmale Hülle packen und trotzdem einen opulenten Booklettext bereitstellen zu können) ist dringend erforderlich, da gerade Sundal fast immer allzu gaumig singt, kaum ein Wort klar und pointiert beim Hörer ankommt; dazu ist ihre Stimme in der Tiefe matt (ihre Ausweisung als Altsängerin im Booklet wird durch ihr stimmliches Material klar konterkariert). Auch Román – vokal üppig und ausdrucksstark – ist häufig textunverständlich, dazu intonatorisch nicht immer ganz sicher. Dies fällt ganz besonders auf in den Chorszenen, in denen der Philharmonische Chor Berlin (dem Weigle seit 2003 als Künstlerischer Leiter vorsteht) exaktest artikuliert, dazu perfekt rhythmisiert und darüber hinaus ein weites Spektrum an Emotionen zu vermitteln weiß. Die vielen komplizierten kontrapunktischen Passagen, die auch mit dem Orchester genau abzustimmen sind, sind der Höhepunkt der Aufführung. Das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt (Oder), immer wieder ein Garant für erstklassige Interpretationen auch unbekanntesten Repertoires, bietet auch hier eine tadellose, engagierte Leistung.
klassik.com cpo, 20. Mai 2025
Interpretation: Klangqualität: Repertoirewert: Booklet: |