Berichte aus dem Reinraum

Seit den ersten Messungen von Aerosolen (Flüssigkeitspartikel mit einer Größe <5 μm, die aus der Lunge und dem Hals kommen) wissen wir: Das gemeinsame Singen in geschlossenen Räumen kann zu erhöhten SARS-CoV-2-Infektionsraten führen. Sämtliche Hygienevorschriften im musikalischen Profi- und Laienbereich richten sich inzwischen mit ausgeklügelten Konzepten nach dieser Erkenntnis. Sie entstammt maßgeblich der Studie ‚Ausbreitung von Aerosolen beim Singen, professionellem Sprechen und Musizieren in Kultur und Bild‘, die von Prof. Dirk Mürbe, dem Leiter der Klinik für Audiologie und Phoniatrie an der Berliner Charité, und dem Aerosol-Experten Prof. Martin Kriegel, dem Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts an der TU Berlin, durchgeführt wurde. Zunächst im Profibereich mit Sänger*innen des RIAS-Kammerchores begonnen, wird sie nun im Bereich der semiprofessionellen Chöre und der Kinderchöre fortgesetzt. (Näheres dazu in unserem aktuellen Newsletter.) 15 Proband*innen aus den Reihen des Philharmonischen Chores Berlin nahmen in den letzten Wochen an den Studienaufgaben teil und schickten uns kleine Erfahrungsbeiträge zu, die wir – in der Reihenfolge ihres Eintreffens bei uns – hier gerne veröffentlichen. Wir danken allen und warten gespannt auf die neuen Studienresultate.

Nun aber viel Spaß beim Lesen!


Trotz monatelanger Chorsingpause ist Reinraumsingen in eine Plexiglasröhre mit allerhand Technik drin und drumrum echt keine Alternative. Ich sang zwar in geselliger Runde, doch letztlich völlig allein. Denn fünf nette Leute standen um mich rum, schauten aber mit ihren Klemmbrettern bewaffnet v.a. nur auf Monitore und Zahlen und dass ich mich beim Singen, Sprechen oder Rufen nicht bewegte. Der eigene Gesang, immer in fünffacher Version, klang meist erbärmlich scheppernd. Kein Chorleiter gab seine Wünsche über Tempo, Takt, Dynamik, Aussprache an. Dafür atmete, sprach, sang, rief und starrte ich in eine Röhre mit diverser unkenntlicher Technik am Ende hinein wie in eine Art Zeittunnel. Schemenhaft spiegelte sich mein abgeklebtes Gesicht als Spiegelbild darin. Neben mir wackelte lediglich ab und an der Armani-Reißverschluss der Professorenjacke. Der Gitterboden unter mir in dem Laborraum für die perfekte Reinluft unterstrich mein Gefühl als Versuchskaninchen.

Für die Coronachorgesellschaft während der inzwischen doch sehr alltäglichen Pandemie (und auch noch für einen Buchgutschein als Dank des Instituts) nahm ich diese Bürde dann doch sehr gerne auf mich.

Sebastian Böhringer-Kluge, Bass


Gestern war der große Tag: Ich wurde in der TU von der Mitarbeiterin von Prof. Mürbe sehr nett in Empfang genommen und konnte sogar noch meine ‚Vorsängerin‘ Aileen noch kurz begrüßen. Wie schön, wenigstens mal ein oder zwei Leute aus dem Chor zu treffen – da wird wieder schmerzlich bewusst, was gerade so sehr fehlt! Drinnen bekam ich als erstes blaue Tüten zum Über-die-Schuhe-Streifen und wurde dann zum Reinraum gebracht, durch eine Luftschleuse hindurch. Anschließend bekam ich eine Ganzkörperverhüllung, mit Haube und Haarnetz darunter. Nun ging es hinein in den Versuchsraum, wo drei weitere Personen auf mich warteten. Mir wurde dann erklärt, wie ich mich vor die Plexiglasröhre setzen solle und wie das ganze ablaufen würde. Ganz wichtig: möglichst nicht bewegen! Erst einmal ging es mit dem fünfmaligen Vorlesen des Textes „Der Nordwind und die Sonne“ los, wie eine Märchentante kam ich mir vor; allerdings fehlten mir meine beiden Enkelkinderchen dabei. Danach ging es endlich mit Singen los – Die Noten von „O Täler weit“ waren schon so befestigt, dass ich gut sehen konnte.  Fünfmal sollte ich nun die mir so vertraute Altstimme in die Röhre singen – das war eigentlich sogar schön, ich mag das Lied sehr und habe also ordentlich reingeschmettert, mit Dynamik und allem. Stimmgabel war vorhanden – ich bekam also den Anfangston. Aber die anderen Stimmen fehlten natürlich sehr… Danach ging es weiter mit fünfmal Beethoven, die Melodie in einer für mich sehr ekligen Bruchlage (es hat mich aber beruhigt, dass die nette Mitarbeiterin sagte, die anderen Alti hätten damit auch gehadert). Nach dem Beethoven hieß es nun: Töne aushalten, auf F, fünfmal im piano, fünfmal im mf und fünfmal im forte… jeweils 12 Sekunden lang. Zum krönenden Abschluss der Veranstaltung sollte ich nun noch Zahlwörter laut rufen. Das Ganze endete dann ebenfalls sehr nett, als Dankeschön bekam ich sogar noch einen Dussmann-Gutschein. Und draußen kam dann schon der nächste Proband angeradelt, Paul. Ach ja…

Sigrid Achenbach, Alt


Heute 15 Uhr Aerosol-Studie in der TU Berlin… ein bisschen aufgeregt bin ich schon. Wie vor einem Konzert? Nein, eher weil ich in eine Röhre singen soll; und nach vielen Monaten wieder vor Publikum singen ist schon was Besonders, auch wenn es „nur“ die Mitarbeiter im Team von Prof. Mürbe sind. Also Einwilligungserklärung unterschreiben, auf dem Fahrrad endlich mal wieder einsingen und ab an den Ernst-Reuter-Platz.

Im Reinraum des Hermann-Rietschel-Instituts der TU Berlin werde ich eingekleidet und verklebt und dann vor eine Röhre gesetzt. Also wie die Vorbereitungen bei unseren Konzerten in der Philharmonie kommt es mir nicht gerade vor. Auch das Sprechen und Singen in die Röhre mit Messgeräten hört sich nicht gerade wie der wunderbare Raumklang in der Philharmonie an. Aber wenn man der Wissenschaft dienen kann, tut man das gerne. Ich bin gerne ein Versuchsobjekt, wenn es darum geht, wissenschaftsbasierte und faktenfundierte Entscheidungen zur Wiederermöglichung des Singens und der Kultur zu generieren.

„O Täler weit, o Höhen“, Mendelssohns wunderbare Vertonung des Gedichts Joseph von Eichendorffs schafft es sogar im sterilen Labor vor dem inneren Auge und Gehör die Seele zu berühren. Bei Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ – die zweite von den Studienmachern ausgewählte Singprobe – kommt mir jedoch der ungute Gedanke, ob die Studie vielleicht sogar negative Auswirkungen auf das Konzertgeschehen haben könnte: Mit all den geschleuderten Konsonanten bei voller Stimme, die sonst unter Konzertbedingungen gegen eine gesamte Orchesterwucht notwendig sind, könnte die Aerosolbildung vielleicht doch hoch sein; aber mein ungetrübtes Vertrauen in die Wissenschaft sagt mir, dass diese Wissenschaftler das sicherlich gut einordnen und ins richtige Verhältnis setzen können.

Am Ende hat es Spaß gemacht, auch wenn mir eine normale Probe, ein gemeinsames Singen und vor allem ein Wiederauftreten in der Philharmonie lieber wären – aber vielleicht hilft die Studie ja dabei.

Ralf Maier, Tenor


Bloß nicht zu spät kommen – auch wenn ich bisher so wenig Gelegenheit dazu hatte in diesem Jahr. Aber wenn man mir nicht bald aufmacht, bin ich zu spät. Die Stimme am anderen Ende der Gegensprechanlage kennt keinen Professor Mürbe. Professor Kriegel, stolz und eintrittssicher beim nächsten Klingeln nachgeschoben, kennt sie auch nicht. Da bin ich doch etwas enttäuscht. Den Namen Hermann-Rietschel-Institut hat sie aber schon einmal gehört. Aber eine Studie, nein, so etwas finde hier nicht statt. Die Uhr zeigt inzwischen 11:02 Uhr. Dass diese Verspätung meine Schuld nicht ist, glaubt mir eh keiner – zu Recht: Jede Verspätung ist Schuld des Verspäteten, ein anderer ist nicht da, und ginge man zeitig los – was ist schon rechtzeitig? – man wäre meist zeitig da, in den meisten Fällen viel zu früh, aber immerhin seltenst zu spät.

Schließlich überschlagen sich die Ereignisse. Der Summer zeigt mir, dass die Stimme einem Menschen gehört, weiblich hatte ich getippt, aber KI-weiblich ist schließlich auch möglich, einem Menschen, der mitleidbewegt öffnet. Hinter mir möchte eine Dame auch ins Institut, der Teilnehmer zum nächsten Termin kann es nicht sein: Ich kenne Jan-Hendrik. Es ist die Vertretung für den Leiter der Studie, den die bisherigen Tests vermutlich schon mürbe gemacht haben. Und von innen kommt nun der Vertreter des naturwissenschaftlichen Parts der Studie, die neben medizinischen Aspekten vor allem physikalische und technische Kenntnisse erfordert. Ich bin leider schlecht im Namenmerken, ich kann mich an keinen einzigen der Namen erinnern.

Nachdem ich eingepackt bin und am Testgerät sitze, gehen mir Sebastians Worte durch den Kopf: Es würde sehr scheppern in der Röhre, und ich bin dankbar für den Hinweis: Das Scheppern liegt also nicht an mir. Wieder erweist es sich als hinderlich (ich weiß nicht, warum ich „wieder“ schreibe, andere Situationen fallen mir nicht ein, in denen das hinderlich war), dass mein Kopf recht groß ist. Wiederholt berühre ich die Plastikränder der Röhre, und wir müssen einen der kleinen Aufnahmeteile wiederholen, also nicht fünfmal alles, sondern teils sechsmal. Aber wenn ich schon keinen Geist versprühe, wie viele Aerosole versprühe ich? Ich bin neugierig. Da läge ich über dem Durchschnitt, antwortet mir einer der Assistenten auf meine Frage. Na toll, ich hatte natürlich insgeheim gehofft, ich wäre ein Phänomen in dem Sinne, dass von mir überhaupt keine Aerosole ausgehen. Dann muss ich noch nach anderem Sinn suchen, in dem ich ein Phänomen bin. Der Assistent beruhigt mich: Der abweichende Aerosolgehalt hänge vermutlich mit den Berührungen der Röhre zusammen. Ganz regungslos hätte ich nicht gesungen. Ach so. Aber wer sich beim Singen nicht bewegt, hat kein Herz oder keinen Rhythmus.

Den zu lesenden Text habe ich bei der fünften Textwiederholung endlich vollständig lesen können, was allgemeine Heiterkeit unter den Anwesenden erzeugte. Es war nicht gefordert, in den vorgegebenen 30 Sekunden den Text vollständig vorgelesen zu haben. Aber irgendwie war jeder Abbruch unbefriedigend (abgesehen davon, dass die ganze Fabel „Der Nordwind und die Sonne“ auch ohne Abbruch irgendwie unbefriedigend blieb), und gehetzt sollte es auch nicht klingen. Ich hätte viel gewonnen, wenn ich beim Vorlesen einfach die Überschrift weggelassen hätte. Aber die gehört zu einer Geschichte nun einmal dazu, auch ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Und ich hatte meine Zweifel, was die Reihenfolge der Tests anging. Nach dem Aushalten von Vokalen, fünfmal p, fünfmal mf, fünfmal f, erst recht nach dem rufenden Zählen, nur fünfmal 10 Sekunden, fühlte ich mich eingesungen. Da hätte ich dann gern noch einmal mit Freude Abschied vom Walde genommen.

Ulrich Brömmling, Bass


Nachdem Herr Prof. Dr. Mürbe mich von der Tür abgeholt hat, ging es durch verschiedene Sicherheitstüren in den „Reinraum“, den saubersten Raum aller Zeiten! Eine Mitarbeiterin half in die Schutzkleidung und klebte die Kapuze am Gesicht ab, nun stand der Studie nichts mehr im Wege.

Im Raum befanden sich mehrere Menschen, Maschinen und eine Röhre, vor der ich platziert wurde und in die ich singen und sprechen sollte. Zuerst ging es mit der Messung der Ruheatmung los. Die zweite Aufgabe war es, den Text „Der Nordwind und die Sonne“ fünfmal zu lesen. Danach durfte ich den Mendelssohn singen. jeweils fünfmal die erste Strophe, Herr Mürbe war sehr zufrieden und es ging weiter mit Beethoven. Auch hier sang ich fünfmal die erste Strophe, wurde nur einmal gebeten, mich nicht zu viel zu bewegen. Aber auch das verlief dann sehr gut und es ging weiter mit dem Aushalten eines Tones, und zwar zwölf Sekunden lang. Die Aufgabe bestand darin, fünfmal im piano, fünfmal im mezzoforte, und fünfmal im forte den Ton C zu singen. Nachdem ich ihn zehnmal im piano und mezzoforte ausgehalten hatte, kamen noch die fünf Varianten im forte, was dann zwölf Sekunden nicht ganz unanstrengend war, aber zum Glück auch noch gut klappte. Schlussendlich folgte das Rufen von Zahlen, auch wieder fünfmal, und dann war es auch schon wieder vorbei. Es war eine sehr interessante Erfahrung und hat viel Spaß gemacht. Alle waren sehr freundlich, und zum Schluss gab es noch einen Gutschein von Dussmann als Dankeschön!

Julia Zühlke, Sopran


Nach einem sehr herzlichen Empfang durch Herrn Mürbe liefen wir durch das menschenverlassene Hermann-Rietschel-Institut in den schon angekündigten Reinraum. Während des Garderobenwechsels wurde mir auf erschreckende Weise einmal mehr klar, wie sehr das Masketragen doch zur Normalität geworden ist. Es war ein komisches Gefühl, im Vorraum des Reinraums ohne Maske in unmittelbarer Nähe zu anderen, fremden Menschen (mit Maske) zu stehen. Neben der Überraschung, wie viele Personen (in meinem Fall fünf) an so einer Versuchsdurchführung mitwirken, schwang dieses Gefühl auch während der Durchführung der Versuchsreihe immer ein bisschen im Hintergrund mit.

Die Aufgaben selbst waren wie erwartet, lediglich die fünffache Wiederholung hatte ich so nicht auf dem Schirm. Es war eine spannende Erfahrung, nicht zuletzt wegen der ganz unbewusst auftretenden unterschiedlichen Betonungen, die sich bei mir während des wiederholten Singens und vor allem Sprechens einschlichen und mir auch just da erst bewusst wurden. Auch hat die Aufgabe, einen Ton zehn Sekunden auszuhalten – in meinem Fall ein F – wieder gezeigt, dass Zeit wahrlich relativ ist, denn zehn Sekunden im piano sind gefühlt doch sehr viel schneller vorbei als zehn Sekunden im forte. Das war auch einer der wenigen Momente in meinem Chorleben, in denen ich lieber ein Sopran gewesen wäre, um den langen Ton in einer etwas höheren Lage aushalten zu dürfen, da dort der Atem sicherlich besser gereicht hätte.

Ich bin sehr froh, dass ich die Möglichkeit hatte an dieser Studie teilzunehmen. Es war eine wunderbare Aufgabe, vor allem wegen des jederzeit vorherrschenden Gefühls, dass alle Anwesenden unheimlich dankbar waren, dass wir an dieser Studie teilgenommen haben.

Aileen Poenack, Alt